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Die Glasharmonika

Als Erfinder der Glasharmonika gilt allgemein Benjamin Franklin. Der amerikanische Diplomat, Naturwissenschafter, Erfinder (u. A. des Blitzableiters 1752) und Mitglied der St. John's Freimaurerloge hörte anlässlich eines London-aufenthaltes  ein Präsentationskonzert von Edmund Delaval auf den Musical Glasses, einem Vorläuferinstrument der Glasharmonika. Dieses Erlebnis regte ihn zur Erfindung der Glasharmonika an.  

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Die Spieltechnik war durch die Musical Glasses schon eingeführt; auch die Anbringung einzelner etwa halbkugelförmiger Glasschalen mit einem Halsansatz bzw. Loch im Zentrum ihrer Wölbung mittels Korkstopfen auf einer horizontalen Achse war schon 1741 zur Verwendung in Glockenspielen und später auch Uhrenglockenspielen bekannt. Franklin wird allgemein die Idee zuerkannt, die auf einer gemeinsamen Achse befindlichen Glasschalen mit einem Fußantrieb in Rotation zu versetzen, wodurch auf den Gläsern von einem Spieler Stücke im Schwierigkeitsgrad der Klavierliteratur ausführbar wurden. Auch durch die geringen Abstände der einzelnen ineinander montierten Schalen, deren Durchmesser zu den hohen Tönen hin abnimmt, ergeben sich den Tasteninstrumenten vergleichbare spieltechnische Möglichkeiten.

 

Die ersten Konzerte auf der neuen Harmonika (wie die franklinsche Armonica seit ihrer Verbreitung im deutschsprachigen Raum genannt wurde) gab Marianne Davies (1740 - ca. 1818), eine Verwandte von Franklin, schon Anfang 1762 im Great Room in Spring Gardens und kurz darauf in Bristol, London und Dublin. In Amerika spielte Stephen Forrage im Dezember 1764 in den Assembly Rooms in Lodge Alley / Philadelphia als erster die Harmonika in einem öffentlichen Konzert. Marianne Davies unternahm 1768 zusammen mit ihrer Schwester, der Sängerin Cecilia Davies (1750-1836), eine Konzertreise durch Europa und insbesondere nach Italien. Franklin hatte Marianne Davies eigens ein Instrument dafür überlassen. Beide Schwestern sollen sich mit Glucks Hilfe am Wiener Hof etabliert haben. Sie wohnten bei J. A. Hasse, der 1769 für Marianne und Cecilia die Cantata pour soprano, harmonica e orchestre komponierte. 

 

In der weiteren Entwicklung der Glasharmonika zum ausgesprochenen Modeinstrument wurden alsbald weitere Instrumente in großer Anzahl gerade in den damals deutsch- sprachigen Gebieten von zahlreichen Herstellern angefertigt. In diesen Regionen waren die zur Glasherstellung notwendigen Rohstoffe reichhaltig vorhanden und die Techniken der Glasverarbeitung entsprechend weit entwickelt. Der Karlsruher Hofkapellmeister J.A. Schmittbaur erweiterte als erster den Tonumfang seiner Harmonika von c-f" (später c-c"") und unterrichtete auch die mit vier Jahren durch eine Pockenerkrankung weitgehend erblindete Mariane Kirchgeßner (1769 - 1808).

 

Im Januar 1791 trat sie zusammen mit ihrem künftigen Begleiter und Förderer, dem einflussreichen Musikverleger Heinrich Philipp Carl Bossler, ihre erste Konzertreise durch Europa an. Ihr Harmonikakonzert in Wien am 10. Juni 1791 veranlasste W. A. Mozart, ein Quintett für Harmonika, Flöte, Oboe, Viola und Cello (KV 617) und ein Solo-Adagio (KV 617a = KV 356) für sie zu komponieren. Am 19. August folgte die Uraufführung von KV 617, das zur Grundlage ihrer zehnjährigen außergewöhnlich erfolgreichen Virtuosenreise werden sollte. 

 

Mariane Kirchgeßner blieb zwar die bekannteste Harmonikaspielerin, aber Pavel Masek soll den Kritiken zufolge mindestens ebenso virtuos gewesen sein, während ein Carl Schneider aus Gotha bei weitem als der fertigste Harmonikavirtuose beschrieben wird. 

 

Lorenz Duftschmid

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